Lied für Lied eine echte Entdeckung

Eine CD mit 17 Liedern als großartige Volksbildungsarbeit, künstlerisch hochwertig auf bereitet, musikalisch wie von der Gestaltung – die Bremer Liedermachergruppe „Die Grenzgänger“ präsentierte im November vergangenen Jahres passend und anspruchsvoll ihr neues Album „Revolution“. Hundert Jahre nach dem 9. November 1918 setzt die Gruppe sich auseinander mit dem Thema Revolution.

Von den Musikern um Michael Zachcial kamen bisher unter anderem Emigrantenlieder, Liebeslieder (Brot & Rosen), Hoffmann-von-Fallersleben-Vertonungen, eine CD zum Kapp-Putsch 1920, Lieder aus dem antifaschistischen Widerstand, eine CD, die den Arbeiterdichter Georg Herwegh würdigt, und zuletzt eine mit Vertonungen Marxscher Jugend-Lyrik.

Allesamt tolle Produktionen, seriös recherchiertes Grundlagenmaterial, musikalisch vielfältige, individuelle, im besten Sinn handgemachte Umsetzungen der anspruchsvoll wie gleichwohl gut zugänglichen, dem jeweiligen Thema bestens angepaßte Vertonungen ohne aufdringliches Schnickschnack und – heutzutage eher selten! – die BookletGestaltung mit Hintergrundinformationen, allen abgedruckten Liedtexten und sorgfältig ausgewähltem Bildmaterial – kleine Gesamtkunstwerke!

Man lernt viel bzw. wird neugierig darauf gemacht, sich mit allem intensiver zu befassen, mit den vertonten Dichtern, mit den Zeitumständen, in denen die Texte und Lieder entstanden. Auf der CD „Revolution“ finden sich Vertonungen unter anderem von Ferdinand Freiligrath, Erich Mühsam und Bertolt Brecht, aber auch von unbekannteren Autoren.

Der die CD abschließende „Gesang der Völker“ basiert auf einem Text von Kurt Eisner, der vom 8. 11. 1918 bis zu seiner Ermordung am 21. 2. 1919 der erste Ministerpräsident des Freistaats Bayern war. Allgemein revolutionskämpferische Lieder wechseln sich mit persönlichen Auseinandersetzungen mit dem Thema ab – eine erstaunliche, musikalisch vielschichtig aufbereitete Geschichtsstunde. Sänger, Westerngitarrenspieler und Mundharmonikaspieler Michael Zachcial hat einiges selbst komponiert, und bei Vorlagen wurde jeweils eine verblüffende, stimmige, bewundernswert sensible Neugestaltung erarbeitet, kammermusikalisch feinfühlig, aber auch Reggae bis Rock einbeziehend.

Neben Zachcial machen bei den „Grenzgängern“ Frederic Drobnjak (Konzertgitarre, E-Gitarren, Ukulele), Annette Rettich (Cello) und Felix Kroll (Akkordeon, Melodica) mit, und als Gäste hört man zusätzlich Friedemann Bartels (Schlagzeug) und Claudius Toelke (Kontrabaß und E-Baß).

Das vielleicht eindringlichste, intensivste Lied ist „Vögel der Freiheit“, die Ernst-Toller-Vertonung, musikalisch auch besonders ambitioniert aufbereitet. Extrem unter die Haut geht das „Barkenhofflied“, macht es doch auf einen der vielen Umstände aufmerksam, die Propagandisten des Krieges nie im Blick haben: daß bei kriegerischen Auseinandersetzungen immer auch Kinder zu den unschuldigen Opfern gehören. Anders, aber nicht minder berührend das „Jiddische Sozialistenlied“.

Wer es bisher versäumt hat, „Die Grenzgänger“ live zu erleben, sollte sich neben der „Revolutions“-CD auch die eine oder andere Scheibe ihres breiten thematischen und musikalischen Spektrums gönnen. Es ist im besten Sinne lehrreich, macht Freude und gibt Kraft zum Kämpfen und zum Leben.

in: Rotfuchs 1/2019