Wenn Marx gewusst hätte, was sich aus seinen Gedichten machen lässt

Es ist ein „Verdienst der Bremer Band „Die Grenzgänger“ »Die wilden Lieder des jungen Marx« herauszubringen. Sie haben mehr aus ihnen gemacht, als der Autor ahnen konnte. Die vier (Michael Zachcial, Annette Rettich, Frederic Drobnjak und Felix Kroll) nehmen mit elegantem Arrangement, sparsam-klarem Instrumenten- und Stimmengebrauch aus den Texten Dampf und Überschwang, aber nicht Wärme heraus. Was sich auf dem Papier stürmisch-drängend oder exaltiert liest, wirkt auf einmal reflektiert, freundlich reduziert aufs Wesentliche.

Manche Zeilen stiften die Gruppe zum Chanson an (»In seinem Sessel behaglich und dumm / da sitzt schweigend das deutsche Publikum«), andere zum swingenden Song. Die eine Wendung scheint den künftigen Revolutionär vorwegzunehmen (»Darum lasst uns alles wagen / Niemals rasten, niemals ruhn /Nur nicht dumpf so gar nichts sagen / und so gar nichts wolln und tun«), anderes gelingt Marx volksliedhaft (»Männerl und Trommerl«). Er zeigt schon mal die Pranke seiner Religionskritik (»Weltgericht«): »Dann solln wir Gott, den Ewigen loben, / Hallelujah ewig schrei’n«, wobei sich die Grenzgänger eine Ergänzung von eigener Hand erlauben: »Ich will da nicht rein / in’n Himmel will ich nicht rein«).

Dreizehn sehr frisch vertonte Gedichte, deren Autor eindeutig zuwenig Ahnung hatte, was sich aus seinen Texten machen lässt.“

Arnold Schölzel in „Junge Welt“ vom 17. Mai 2018